Eine Buchbesprechung »Knowledge Management in Digital Change« New Findings and Practical Cases, Springer März 2018, 394 Seiten, USD 179, E-Book: USD 139, Hrsg.: North, K., Maier, R. und Haas, O.

von: Lothar Franz

12/11/2018

Alles dreht sich darum, wie (implizites) Wissen und Erfahrungen innerhalb eines Unternehmens und vor allem darüber hinaus mit Hilfe digitaler Möglichkeiten gewinnbringend und arbeitserleichternd nutzbar gemacht werden können.

Die Herausgeber skizzieren zuerst auf 25 Seiten kompakt die Inhalte, so dass die Leserin und der Leser einen orientierenden Überblick erhält. Die Themenbereiche sind:

1.) Digitale Möglichkeiten der Ressourcenanreicherung zur Leistungssteigerung

2.) Zusammenarbeit und Netzwerken

3.) Führen und Lernen 4.0 und

4.) Neue Formen der Wertschöpfung durch digital unterstütze Wissensintensivierung

Aufgrund der rasanten Steigerung von Informationsquellen und deren allgegenwärtige Verfügbarkeit ändert sich die Arbeitswelt fundamental. Der Mensch ist nicht mehr dazu in der Lage, die Datenmenge sinnvoll zu nutzen. Gutes Wissensmanagement verspricht Lösungen. Die insgesamt 23 Beiträge sind sehr unterschiedlicher Natur. Einerseits sind sie so fachspezifisch und mit Abkürzungen gespickt, dass der Rezensent (ein »Digital Immigrant«) Mühe hatte, die Inhalte nachzuvollziehen.
Andererseits eröffnen sie aber auch spannende Blicke in den Maschinenraum der aktuellen digitalen Entwicklung. Neben abstrakten theoretischen Überlegungen, die die Komplexität der Thematik verdeutlichen, finden sich auch ganz praktische Beispiele wie in »Medizin 4.0«. Hier wird aufgezeigt, welche Veränderungen sich abzeichnen, welche Anforderungen an »knowledge worker« gestellt werden, wie sich die klassischen Rollen auflösen und welche neuen Organisationsformen und Geschäftsfelder sich eröffnen.
In der Forschung werden wissenschaftliche und nicht-akademische Mitspieler*innen gemeinsam Fachthemen entwickeln. Diese Bürgerbeteiligung (»citizen science«) ist Ausdruck der Demokratisierung von Verhältnissen, d.h. aber nicht, dass Führung, Hierarchie und top-down-Entscheidungen verzichtbar sein werden. Die Herausgeber weisen dankenswerterweise ausdrücklich darauf hin: »Dont be fooled: To get rid of hierarchies …» und benennen klar dieses vielfältig geteilte Missverständnis.
Die große Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, in dieser »Demokratisierung« agile, wissensintensive, neue digital getriebene Wertschöpfung im Rahmen der existierenden Strukturen zu ermöglichen. Das Dilemma für große Unternehmen wird deutlich, wenn man sich die Erfolgskriterien von kleinen Startups vergegenwärtigt, wie sie im Bericht »Startup and Technology Hubs« beschrieben werden. Konkurrierende Expertinnen und Experten müssen lernen, zusammenzuarbeiten. Hybride Teams von Menschen und Robotern werden in der Industrie 4.0 zusammenarbeiten. Zukünftig wird wahrscheinlich in Führungsetagen auch eine intelligente Maschine sitzen, die aufgrund ihrer enormen (Rechen-)Leistungsfähigkeit Zusammenhänge erfasst, die menschliche Fähigkeiten übersteigen.
Ein »Board Meeting Scenario 2035« beschreibt beeindruckend wie ein solcher »Autosome« (autonomous system, independant thinking machine) als Deputy Direktor General mit anderen »Autosomes« und einem menschliche CEO zusammenarbeitet. Der, die oder das »Autosome« fragt sich am Ende einer Reihe von Sitzungen vielsagend: »Do we really need this time wasting procedure?« Das Buch bietet eine Fülle von Informationen und Literaturhinweisen für Interessierte, die mehr Hintergrundwissen suchen.

Ein Manko dieses Buches besteht allerdings darin, dass die vielzitierte Interdisziplinarität (raus aus dem Silodenken) insofern zu kurz kommt, als schwerpunktmäßig technische, betriebs- und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven eingenommen werden. Human(!)-psychologisch-soziologische und systemdynamische Aspekte dieser Prozesse und deren Wirkung auf Mitarbeiter_innen und die Gesellschaft hätten einen größeren Raum verdient. Das hätte aber vielleicht den Rahmen dieses Fachbuches gesprengt. Bedauerlich ist, dass das Buch lediglich auf Englisch erscheint und das Glossar hätte insbesondere für Nicht-Insider etwas umfangreicher (mit Seitenverweisen) sein können.

 

Hinweis: im u. g. Link  sind verlagsseitig in Previews Zusammenfassungen (abstracts) der jeweiligen Beiträge eingestellt: https://www.springer.com/us/book/9783319735450  (letzter Abruf: 10.08.2018)

Anmerkung für Leser_innen, die das Buch »Homo Deus« (über die Entwicklungsgeschichte der Menschheit) des israelischen Historikers Yuval Noah Harari kennen: Die in diesem Werk (vielleicht zu dystopisch) entworfene Zukunft wird im oben rezensierten Buch nüchtern, pragmatisch und informationstechnologisch durchdekliniert. Harari’s Prognosen ist nach der Lektüre dieses Buches eine gewisse Triftigkeit nicht abzusprechen. Jedoch Dystopie und Utopie sind Ansichtssache – je nachdem, von wo man seine Welt betrachtet.

 

 

 

erschienen in:

OrganisationsEntwicklung Nr. 4  I   2018

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