In diesem Fachbuch werden die Folgen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen der digitalen Transformation sowohl für Mitarbeiter*innen als auch Führungskräfte detailliert beschrieben.
Zunächst wird der Leser /die Leserin in den konzeptionellen Rahmen der Lean Production eingeführt. Sie hat im Kern das Ziel, Prozesse zu optimieren, um Verschwendung (waste) zu vermeiden und notwendige soziale und organisatorische Puffer (slack) zur optimalen Anschlussfähigkeit einzelner Abläufe zu ermöglichen. Diese in der Produktion entwickelten tayloristischen Rationalisierungs- und Kontrollstrategien fanden in ihren Weiterentwicklungen in der Fließbandarbeit durch synchron getaktete Arbeitsschritte (Standardisierung, Just-in-time-Produktion …) schließlich ihre praktische hochindustrialisierte Anwendung. Die so in der Fließfertigung rasant gesteigerte Produktivität führt logisch zu der Überlegung, wie »Lean« auch in die sogenannten indirekten Bereiche der Büros übertragen werden kann.
Anhand von fünf Fallstudien (in der Software-Entwicklung, Maschinenbau, Metall- und Elektroindustrie) werden unterschiedliche Entwicklungsszenarien anschaulich geschildert. Vom »Shopfloor-Management« (gemeinsame morgendliche Tagesplanung und Aufwandschätzung im Team, Visualisierung der Fortschritte) als ein Kernelement der Lean-Einführung über »Kontinuierliche Verbesserung« bis hin zur »agilem Verhalten« und »SCRUM« werden Verfahren erläutert und deren Wirkung auf Angestellte untersucht. Die Autoren beschreiben präzise den Zweck des Agilen-Modells: weg von einer schwerfälligen hierarchisch-bürokratischen Prozessarchitektur, hin zu einem ganzheitlichen, flexiblen und dynamischen Vorgehen.
In Kurzform: Entbürokratisierung. Das SCRUM-Verfahren soll das dazu benötigte »mindset« ausbilden, um „entsprechende Verhaltensweisen der Mitarbeiter zu erzeugen.“ Es beinhaltet klare spezielle Rollenzuweisungen und Verfahrensweisen, die zum Ziel haben, den jeweiligen Arbeitsgruppen Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit (Empowerment) zu geben, ohne einschränkende Interventionen von oben befürchten zu müssen.
Ausgesuchte Interviewsequenzen lassen dazu lebendige Bilder aus dem Tagesgeschäft entstehen. Die aus der Makroperspektive betrachteten positiven (Führungs-) Möglichkeiten der gemeinsamen Planung und Kontrolle sehen aus der Mikroperspektive angestellter Mitarbeiter*innen häufig negativer aus. Wie zustimmend oder ablehnend die neuen Verfahren aufgenommen werden hängt auch maßgeblich davon ab, wie beteiligungsorientiert sie implementiert worden sind.
Durch alle Fallstudien ziehen sich die Themen: Vertrauen, Sicherheit, Fehlerfreundlichkeit, Teamarbeit und vergemeinschaftetes Wissen. Insbesondere höher qualifizierte Spezialisten/Spezialistinnen geraten beim letztgenannten Punkt in eine Abwehrhaltung bzw. professionelle Identitätskrise, da sie befürchten ihren (Macht-)Status zu verlieren. Führung muss in diesem Kontext neu definiert werden als eine unterstützende Dienstleistung, die einen angemessenen sozialen (!) Raum mit allen Beteiligten gemeinsam herstellt und erhält. Dieser Kulturwandel braucht Zeit und sollte eventuell auftretende Sackgassen und Scheitern (frustrierende Entwicklungsphasen) als wichtige Lernschleifen positiv konnotieren. »Nach der Einschätzung der Vorreiter-Projekte dauert es „ein, zwei Jahre, bis so die ersten kleinen Blüten zu sehen sind“, und vier Jahre, bis aus der Sicht des Managements die Erfolge in Bezug auf Zuverlässigkeit und Qualität sichtbar werden: „ …(…)…Also es war schon ein steiniger Weg, dorthin zu kommen, und Gott sei Dank haben wir die ersten Misserfolge nicht auf diese Vorgehensweise (SCRUM, L.F.) geschoben.“«
Dieses Fachbuch ist wie ein Werkstattbericht, der sich durch hohen Praxisbezug auszeichnet und Zusammenhänge einleuchtend reflektiert. So wird die SCRUM-Lehrbuchmeinung in der Umsetzung manchmal von der Realität karikiert. Sei es, dass man SCRUM mit anderen Ansätzen vermischt oder auch nur oberflächlich so tut als ob man danach verfahre, um eigentlich wie bisher weiterzumachen. Die Untersuchungen der erfolgreichen, vielfältigen, abgespeckten, hybriden und auch teilweise irrlaufenden potemkinschen-SCRUM-Varianten aus der Praxis belegen, was alles passieren kann, wenn man sich auf den Weg zur AGILITÄT aufmacht und wie sich das alte System gegen das Neue zur Wehr setzt. Ein lesenswertes Buch für alle, die am Thema interessiert sind und den langen Atem haben, sich aktiv der Idee der Autoren anzuschließen, eine neue »Humanisierung der Arbeitswelt« zu schaffen, statt ausschließlich dem »digitalen Fließband« zur Produktionssteigerung das Wort zu reden. Zwischen beidem liegt ein schmaler Grat. …mit spannender Wegstrecke.
Das Buch ist auch erhältlich als Gratis-Download bei [open acces bei transcript]
https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/83/87/cd/oa9783839442470.pdf (letzter Abruf am 10.05.2018)
Autoren: Andreas Boes, Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr: »Lean« und »agil« im Büro, Transcript-Verlag 2018