Werte und Bedürfnisse im Konflikt

von: dr. Christoph Sczygiel

2/3/2017

Über Konflikte ist bereits viel geforscht und geschrieben worden, insofern kann nicht wirklich was Neues dazu gesagt werden. Ich möchte hier einen Aspekt herausgreifen, der bisher wenig berücksichtigt ist. Es soll um Werte und Bedürfnisse gehen. Ich werde mich dabei am Menschenbild von Fritz Riemann orientieren.

In Konflikten werden – so meine Beobachtung – Werte verletzt oder zumindest in Frage gestellt oder einfach nicht so bedient, wie es erwartet wurde. Max Wertheimer meint, dass das Erkennen von Zusammenhängen und die Zuordnung zu einem inneren Wert „die innere subjektive Wahrheit“[1] repräsentiert. Er sagte auch: „Ich glaube, daß diese Fragen rechtens zur Logik gehören; es sind nicht Fragen bloßer psychologischer Facta, sondern es handelt sich hier um richtig, unrichtig, adäquat, schief, wahr, falsch, logisch, unlogisch.“[2]

Dieses Feld an Gegensätzen bildet meines Erachtens einen Resonanzboden für Werte, die gleichzeitig Bedürfnisse befriedigen sollen: so etwas wie die Ästhetik des inneren Bildes, wie Dinge sein sollen, wie sie Sinn machen.[3] Wird diese Ästhetik gestört, entstehen Spannungen – mindestens innere. Geschieht das zwischen Menschen, sind Konflikte wahrscheinlich. In der Außenbetrachtung kann man durchaus annehmen, dass es mal um einen Ziel-, Verteilungs- oder Rollenkonflikt geht, der Ausgangspunkt ist jedoch immer der jeweilige Mensch mit seinem Bedürfnis danach, dass seine Ziele, seinen Spielraum, seine Rolle so gesehen wird, wie er es braucht. Jeder kennt das Gefühl, wenn ein Bild schief hängt oder Ähnliches. Unter Werten verstehen wir „als erstrebenswert oder moralisch gut betrachtete Eigenschaften bzw. Qualitäten, die Objekten, Ideen, praktischen bzw. sittlichen Idealen, Sachverhalten, Handlungsmustern, Charaktereigenschaften beigelegt werden.“ [4] Es gibt also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sich in seinem Bedürfnis, seinem ästhetischen Empfinden (verletzter Wert) irritiert zu fühlen. Und wenn Menschen mit im Spiel sind, ist oft nicht mehr auseinanderzuhalten, welche Irritation von wem ausgeht. Hier sind „empfindliche“ Reaktionen angesiedelt.

In Anlehnung an Fritz Riemanns Grundformen der Angst (1991) lassen sich vier Basismuster[5] beschreiben (Sczygiel 2017), die helfen können, zu verstehen, wenn jemand in einer sozialen Situation empfindlich oder scheinbar unangemessen reagiert. Diese Bedürfnisse zu bedienen kann auch zur Entlastung einer spannungsreichen Situation führen.

Gründe für die Entstehung von Konflikten[6]

Konfliktmuster

(Bedürfnis)

Bedürfnis nach Autonomie (eher offensiv) Bedürfnis nach Zugehörigkeit (eher defensiv) Bedürfnis nach Beständigkeit / Zuverlässigkeit (eher defensiv) Bedürfnis nach Veränderung und Selbstbestimmung von Grenzen
(eher offensiv)
entsteht, weil …

(Wert)

Selbstständigkeit wichtiger ist als Beziehung Harmonie wichtiger ist als Bedürfnisbe-friedig. bzw. Kontakt Sicherheit wichtiger ist als Wachstum und Entwicklung Beweglichkeit und Freiheit wichtiger sind als Zugehörigkeit
Gegensätze

 

Autonomie versus Beziehung Harmonie versus Beziehung Unveränderlichkeit versus Entwicklung Zugehörigkeit versus Freiheit

© Christoph Sczygiel

Beispiel: Es gibt Menschen, denen Zugehörigkeit sehr wichtig ist. Sie sind bereit, Zugeständnisse zu machen, um eine Begegnung (ganz gleich ob privat oder beruflich) zu erleichtern, zu ermöglichen. Sie neigen dazu auf eigene Bedürfnisse zu verzichten, wenn es der guten Beziehung dient. Die Gefahr ist groß, dass sie immer wieder zu kurz kommen. Das dahinterliegende Bedürfnis ist die funktionierende Beziehung. Der dahinterliegende Wert ist Zugehörigkeit und Harmonie. Eigene Bedürfnisse kommen zu kurz, erwartet wird eine Gegenleistung für die Zugeständnisse. Wenn das nicht erreicht werden kann, entwickelt sich der Konflikt. Es ist zunächst ein innerer, er beginnt mit der Kränkung. Folgen können sein: Rückzug, versteckte Aggression, Verweigerung, projektive Entlastung[7] und das ganze Spektrum der Autoaggression und Aggression gegen andere.

 

[1] Sczygiel (2016), S. 202

[2] Wertheimer (1991), S. 28

[3] Sczygiel (2016), S. 239ff

[4] Wikipedia Februar (2017)

[5] Sczygiel (2016), S. 160ff

[6] In: Die Mediation 1/2017, S. 26ff

[7] Eigene Unzulänglichkeiten/Verhaltensmuster werden dem Gegenüber unterstellt und dienen der eigenen Entlastung.

 

Literaturliste

Sczygiel, C., (2016), Innere Bilder und Führungshandeln, Uni Press Verlag Kassel

Sczygiel in: Die Mediation, Herausgeber: PD Dr. habil. Gernot Barth, RA Bernhard Böhm, Ausgabe Quartal I /2017

Wertheimer, M. (1991). Zur Gestaltpsychologie menschlicher Werte. Aufsätze aus den Jahren

1934 bis 1940 herausgegeben und kommentiert von Hans-Jürgen Walter. 1. Aufl. 1991.

Opladen: Westdeutscher Verlag.

 

 

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